Erinnerst du dich noch an die Szene im Holofernes-Zelt? Ein junger, gut gebauter Mann liegt entspannt auf zerwühlten Laken, nichts lässt den schrecklichen Kampf ahnen, der zu seiner Enthauptung geführt hat. 

Ja – und wo ist denn sein Kopf?

Die Antwort finden wir auf diesem Bild. Das Täfelchen, genauso klein und miniaturhaft wie das Holofernes-Bild, zeigt die Parallelgeschichte zur Entdeckung des toten Kriegsherrn. Die zwei Pendantbilder waren sehr wahrscheinlich Kabinettstücke, sorgsam von einem privaten Sammler verwahrt und nur gelegentlich zur Betrachtung ans Licht geholt.
Das Bild zeigt die Heldin Judith auf dem Weg nach Hause. Die Morgendämmerung belichtet im Hintergrund die assyrischen Krieger in Aufruhr und die völlig intakte Mauer von Bethulia.

Dicht hinter der Heldin folgt ihre Magd. Mit einer Hand rafft die Dienerin ihr langes Kleid hoch, um schneller laufen zu können. Am Handgelenk baumeln die Weinkrüge, die Holofernes während des nächtlichen Gelages geleert hat. 

Mit der anderen Hand trägt sie eine makabre Trophäe: den abgeschlagenen Kopf des Holofernes, den wir auf dem Pendantbild vermissen, dürftig in ein Tuch gewickelt.

Judith läuft voran. In der rechten Hand trägt sie noch das blutige Schwert, in der andere einen Olivenzweig als Friedenszeichen.

Sie wird hier nicht als triumphale Heldin abgebildet, sondern scheint ihr Gleichgewicht zu suchen. Sie schaut nicht nach vorne, sondern ist zurückgewandt und in sich gekehrt, nachdenklich.
Das ist eine feine psychologische Interpretation von Botticelli. Judith galt im republikanischen Florenz als Freiheitssymbol, war ein Prototyp der Schwachen, aber Gerechten, die über die Starken siegen. Sie ist aber auch eine junge Frau, die eine sehr gefährliche, ungeheuerliche Aktion vollbracht hat und davon noch ganz verstört und traumatisiert ist. Botticelli zeigt uns die Frau, die sich hinter dem Symbol verbirgt, menschlich und verletzlich.
Noch eine Kuriosität. Der Kopf des Holofernes scheint nicht zu dem jungen, kraftvollen Körper auf dem Pendantbild zu passen. Was wir hier sehen ist der Kopf eines bärtigen, älteren Mannes.

Sandro Botticelli, Rückkehr der Judith nach Bethulia, um 1469/70, Holz , 31 x 25 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz.