Dieser wunderschöne Akt „Nudo rosso“ ist ein perfektes Beispiel für Modiglianis modus operandi. Modigliani bedient sich hier ganz klassischer Module (die von links nach rechts liegende Frau, der herausfordernde, direkte Blick, die gewählte Grundfarben, siehe z. B. Tizianos „Venere di Urbino“), interpretiert aber das Ganze in einer extrem modernen, geradezu revolutionären Art und Weise.

Jeder Anspruch auf eine konkrete Wiedergabe der Realität ist hier verloren. Die Perfektion der  Zeichnung, die Modigliani aus seiner toskanischen Kunstbildung mitbringt, trifft auf eine neue, experimentelle Art der Darstellung, die das Markenzeichen dieses begabten Künstlers ist. Seine Portraits, reduziert auf das absolut Wesentliche, gewinnen dadurch eine unerreichbare Intensität, eine Ausdruckskraft, die tief berührt.

Vielleicht auch wegen dieser unglaublichen Energie, die aus seinen Bildern strahlt, wurden Modigliani Akte langer Zeit als pornografisch und skandalös bezeichnet. In Wahrheit waren seine Bilder nur viel zu modern für die damalige Zeit.
Unser heutiger Blick kann die subtile, elegante Erotik, die aus einem Bild wie der Nudo rosso uns entgegen pulsiert zum Glück wahrnehmen, einordnen und genießen.
Nichtsdestotrotz als 2015 das Gemälde verkauft wurde (bei einer Christie’s Auktion in New York, für fabelhafte 170,4 Millionen Dollar) hat die Financial Times ein zensiertes Foto davon veröffentlich, auf dem Brust und Scham mit schwarzen Balken abgedeckt waren.

Dieses Gemälde, das die junge, bildschöne Frau des Malers zeigt, ist ohne Zweifel ein Meisterwerk der Kunst des 20. Jahrhunderts. Wenige Jahre später sprang die hochschwangere, verzweifelte Jeannette Hébuterne aus dem 5. Stock ihres Hauses in den Tod. Zwei Tage davor war der Künstler an Tuberkulose gestorben. Sie war erst 22 Jahre alt und ebenfalls eine sehr begabte Malerin. 

Amedeo Modigliani, Nudo rosso, 1917, Öl auf Leinwand, private Kollektion